11. Dezember 2010 Bärbel Beuermann und Wolfgang Zimmermann

Bärbel Beuermann und Wolfgang Zimmermann zum Nachtragshaushalt: Richtige Richtung

Bärbel Beuermann und Wolfgang Zimmermann, beide Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Landtag von NRW

Enthaltung: Warum Die Linke den Nachtragshaushalt von »Rot-Grün« in Nordrhein-Westfalen weder ablehnt noch unterstützt. Von Bärbel Beuermann und Wolfgang Zimmermann. Der Beitrag erschien erstmals am 11.12.2010 in der Tageszeitung junge Welt.

Am 16. Dezember 2010 entscheidet der Landtag von Nordrhein-Westfalen in dritter Lesung über den von SPD und Grünen eingebrachten Nachtragshaushalt 2010. Eine mit sehr großer Mehrheit verabschiedete Entschließung des Landesrats der Linken in NRW vom 5. Dezember legt fest: Wir werden dem Nachtragshaushalt 2010 im Landesparlament nicht zustimmen. Wir werden ihn aber auch nicht ablehnen, weil er unsere »roten Haltelinien« nicht überschreitet. Das entspricht auch der Meinungsbildung in der Fraktion.

Obwohl die bürgerliche Presse nur mit Schaum vor dem Mund von diesem Nachtragshaushalt spricht – eben weil er nicht im Namen der Haushaltskonsolidierung und der »Schuldenbremse« Sozialabbau, Personalabbau und Privatisierungen vorantreibt – ist er nur ein erster Trippelschritt in die Richtung des von uns verlangten Politikwechsels. Darum heißt es in der Entschließung des Landesrats: »SPD und Grüne unternehmen nur hauchzarte Korrekturen an der neoliberalen Kahlschlagpolitik von CDU und FDP in den vergangenen fünf Jahren.« Allerdings hat das Gründe. Einer davon ist die wahlpolitische Erosion der SPD, der andere sind wir: »Links wirkt!«

Enthaltung angebracht

Natürlich genügt uns das nicht. Deshalb verlangen wir wesentlich mehr Geld für die Kommunen. Deshalb stellen wir den Antrag, die 1,3 Milliarden Euro Absicherung für die WestLB um 350 Millionen Euro zu mindern, und fordern die Entwicklung eines alternativen Geschäftsmodells, »keine weitere Beteiligung bei Risiko- und Spekulationsgeschäften, keine Millionen-Boni für Banker und Bankerinnen und eine Haftung der verantwortlichen Vorstände«. Wir fordern die Abschaffung der Studiengebühren zum Sommersemester 2011 und die Durchführung einer Schulreform, die diesen Namen verdient, mit der Verwirklichung der »einen Schule für alle«. Wir fordern die Stärkung der Einnahmeseite der öffentlichen Hand, indem endlich eine ausreichende Zahl an Betriebsprüfern und Steuerfahndern eingestellt wird. Darüber hinaus verlangen wir Bundesratsinitiativen für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer als Millionärssteuer, für die Erhöhung des Spitzendsteuersatzes bei der Einkommensteuer.

Man könnte die Liste der Beispiele verlängern. Im jW-Kommentar »Berliner Linie« vom 7. Dezember argumentiert Rainer Balcerowiak aber, obwohl unsere »roten Haltelinien« beim Nachtragshaushalt formell nicht überschritten seien, seien sie wegen der fortbestehenden Unterfinanzierung der Kommunen inhaltlich eben doch überschritten. Das ist eine gewagte Argumentation. Wir handeln stets in Abstimmung mit den außerparlamentarischen Initiativen. Auch ihnen gegenüber haben wir zur Diskussion gestellt, wie wir uns bei der Abstimmung zum Nachtragshaushalt verhalten sollen. Sie haben uns in ihrer großen Mehrheit gesagt, es wäre unverantwortlich, diesen Nachtragshaushalt abzulehnen.

Rainer Balcerowiak unterstellt uns, der Landtagsfraktion und der Landespartei, wir würden den Nachtragshaushalt »durchwinken«, indem wir uns enthalten. Unser Landesparteitag hat am 10./11. Juli 2010 folgendes beschlossen – und die neue Entschließung des Länderrats zitiert das: »Die Linke.NRW wird sämtliche Vorschläge der Minderheitsregierung ablehnen, die Privatisierungen, Personal- oder Sozialabbau bedeuten. Die Linke.NRW wird insbesondere jeden Haushalt ablehnen, der Einsparungen zu Lasten der Mehrheit der Menschen oder sozial Benachteiligter beinhaltet.« Daran halten wir uns. Deshalb lehnen wir den Nachtragshaushalt 2010 nicht ab. Deshalb wissen SPD und Grüne, was ihnen blüht, wenn sie den Haushalt 2011 zu einem »Sparhaushalt« zu Lasten der Beschäftigten, Erwerbslosen und Armen machen – nämlich Neuwahlen. Zustimmen könnten wir nur einem Haushalt, den wir insgesamt verantworten könnten – und das wäre im Grunde gleichbedeutend damit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Bei einem Haushalt aber, der Schritte weg vom neoliberalen Kurs und von der Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung macht und einige Verbesserungen beinhaltet – wenn auch völlig unzureichend – ist Enthaltung angebracht.

Berliner Linie?

Wir waren schon erstaunt, von Rainer Balcerowiak in der jungen Welt von unserem »unbedingten Willen zur Regierungsbeteiligung« zu lesen. Das entspricht nicht der Meinungsbildung hier in NRW, weder in der Landtagsfraktion noch in der Partei. Wir haben übrigens – anders wohl als Teile der Partei in anderen Bundesländern – das klare Verständnis, daß die Partei gerade bei strittigen Fragen – im Gegensatz zur rein rechtlichen Situation, daß Abgeordnete nur »ihrem Gewissen verantwortlich« seien – das letzte Wort hat. Sogar, wenn wir in der Fraktion »unbedingt mitregieren« wollten – aber buchstäblich niemand in der Fraktion will das –, so würde das von der Mitgliedschaft unserer Partei, von Parteitagen, Delegiertenkonferenzen und auch vom Vorstand nicht akzeptiert.

Nur wer von der Partei Die Linke in NRW, von ihrer Positionsbildung, von den verschiedenen hier mitwirkenden Strömungen und von der Stimmung in der Mitgliedschaft keine Ahnung hat, kann zu dem Schluß kommen, wir hätten uns zwecks Durchführung einer »Berliner Linie« des Mitregierens »von dem Anspruch verabschiedet, Motor oder auch nur Bestandteil einer sozialen Opposition gegen die herrschenden Verhältnisse zu sein«.

Wir sagen aber ganz offen, daß wir das Mitregieren wie in Berlin und Brandenburg nicht richtig finden. Wir kritisieren das in der Partei, weil wir dagegen sind, daß Die Linke Mitverantwortung übernimmt für eine Politik, die letztlich – trotz vielleicht einiger Verbesserungen in Einzelfragen – im großen und ganzen der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Verhältnisse und den Interessen des Kapitals dient. Das ist für uns eine Grundsatzfrage. Die Erfahrung in Berlin hat aber auch gezeigt, daß eine solche Politik die Partei wahlpolitisch an die Wand fahren kann.

Wir finden, eine Regierung mit der Linken – egal, von wem sie gebildet wird, wir müssen das inhaltlich kennzeichnen – müßte ohne Wenn und Aber die Interessen der Beschäftigten, der Erwerbslosen und der lernenden Jugend durchsetzen. Das ist aber nur möglich im Konflikt mit den Kapitalinteressen und mit den im Dienst des Kapitals stehenden Einrichtungen und Verbänden. Dafür müßten Linke sich auf eine breite Bewegung von unten stützen können. Anders kann man die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht ändern. An einer Regierung, die sich nicht mit dem Kapital anlegt, können Linke nur teilnehmen, indem sie ihre inhaltlichen Positionen und letztlich auch ihre linke Identität preisgeben. In der NRW-Linken gibt es keine Mehrheiten für eine solche Haltung und einen solchen Kotau vor den imperialistischen Machtinteressen.

Mandate und Posten

Rainer Balcerowiak meint übrigens auch, wir – Abgeordnete, Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter – seien von profanem Eigeninteresse gesteuert – ähnlich wird gelegentlich in der bürgerlichen Presse spekuliert: »Ein Scheitern im Landtag hätte unweigerlich zu Neuwahlen geführt, bei denen die vielen schönen und gutdotierten Mandate und Mitarbeiterstellen womöglich flötengegangen wären.«

Hier ist etwas anderes flötengegangen, nämlich die politische Urteilskraft. Wie viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Landesrats oder einer Delegiertenversammlung oder wie viele Mitglieder – bei uns in der nordrhein-westfälischen Linken entscheiden letztlich die Mitglieder – haben Mandate und Mitarbeiterstellen oder Aussicht darauf? Doch nur ein winziger Bruchteil. Das kann die Meinungsbildung in der Partei also nicht erklären. Umgekehrt gibt es nicht nur hehre, sondern auch »profane« Gründe, einen anpaßlerischen Kurs abzulehnen: Wie viele Mandate und »Posten« sind wegen des Berliner Kurses eigentlich verlorengegangen, mit dem die Wählerschaft fast halbiert wurde?

Wir wollen unser Möglichstes tun, um Mehrheiten in der Gesellschaft für einen wirklichen Politikwechsel zu erhalten. Um die Gesellschaft zu ändern, genügt es nicht, das Kapital nur anzukläffen. Man muß versuchen, es wirklich zu beißen.

Die Autoren sind Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Landtag von Nordrhein-Westfalen