3. September 2010 Gunhild Böth

"Wir wollen es nach wie vor sofort"

Gunhild Böth, bildungspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion der LINKEN in Nordrhein-Westfalen

Die Linke in NRW will SPD-Entwurf zur Abschaffung der Studiengebühren im Wintersemester 2011/12 nicht zustimmen. Gespräch mit Gunhild Böth, bildungspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion der Partei Die Linke in Nordrhein-Westfalen. Das Interview führte Gitta Düperthal und erschien erstmalig am 3. September 2010 in der Tageszeitung junge Welt.


Die Fraktion der Partei Die Linke in Nordrhein-Westfalen wirft der SPD-Grünen-Regierungskoalition vor, die Abschaffung der Studiengebühren bis zum Wintersemester 2011/12 zu verzögern. Die Linke fordert sofortigen Verzicht, notfalls aber im kommenden Sommersemester. Hat man mit Ihnen nicht über den Gesetzentwurf gesprochen?

Bisher nicht.

Ist es üblich, daß zwischen den Fraktionen von SPD, Grünen und der Partei Die Linke nicht kommuniziert wird?

Wir sind überrascht, daß man uns erst jetzt im nachhinein, für den 8.September um 16 Uhr, ein Gesprächsangebot gemacht hat – nehmen es aber an. Für die Landesregierung wäre es günstiger gewesen, uns vorher anzusprechen, damit sie nicht einen Änderungsantrag zu ihrem eigenen Gesetzentwurf stellen muß – und all das im Parlament Thema ist.

Es ist kein Geheimnis, daß die Studiengebühren ohne die Stimmen der Linken nicht abzuschaffen sind. Wie ist das Vorgehen der Landesregierung zu erklären?

Das weiß ich nicht. SPD und Grüne haben vor der Sommerpause einen Antrag eingebracht und die Landesregierung aufgefordert, bis spätestens zum Wintersemester 2011/12 die Studiengebühren abzuschaffen; wir wollen es nach wie vor sofort. All das sollte im zuständigen Ausschuß verhandelt werden. Jetzt kommt Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) und stellt ihren Gesetzentwurf vor – das darf sie gern machen! Wir bleiben bei unserer Meinung: Der Wegfall der Gebühren kann sofort für das Wintersemester 2010/2011 im Nachtragshaushalt geregelt werden. Derzeit laufen die Zahlungen, die die Studierenden leisten müssen.

Was mag die Landesregierung mit ihrem Plan beabsichtigen?

Ich sehe das Problem darin, daß SPD und Grüne der Auffassung sind, wir müßten ihrem Gesetzentwurf auf jeden Fall zustimmen. Da täuschen sie sich. Wir wollen nicht die drittschlechteste Lösung. Die beste Lösung wäre die sofortige Abschaffung, die zweitbeste zum Sommersemester 2011/12 – die schlechteste das darauffolgende Wintersemester. Wir befürworten, was auch SPD und Grüne im Wahlkampf angekündigt haben; die SPD verhalten, die Grünen deutlich. Die Landesregierung wird Druck von den Studierendenvertretungen bekommen, wenn sie ihr Wahlversprechen brechen will; sie sind direkt an SPD und Grüne herangetreten und haben sich gegenüber der Presse in dieser Hinsicht deutlich geäußert. Das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren plant Proteste zum Beginn des Wintersemesters im Oktober. SPD und Grüne betonen derzeit bei jedem ihrer Redebeiträge aufs neue, daß sie alle im Landtag vertretenen Fraktionen einladen, bei Gesetzentwürfen mitzuarbeiten. Das kommt mir schon zu den Ohren heraus, weil es eine Selbstverständlichkeit ist. Die Abschaffung der Studiengebühren geht nur mit der Partei Die Linke. CDU und FDP stehen nicht zur Verfügung, sie haben sie selber eingeführt.

Die Linke kritisiert SPD und Grüne, weil deren geplante Kompensation der Hochschulen für die ausfallenden Gebühren zu gering ist.

Die Landesregierung plant, den Hochschulen 249 Millionen pro Jahr zu zahlen. Das reicht aber nicht, um den Wegfall der Studiengebühren auszugleichen. Es droht finanzielle Aushöhlung. Bisher hatten die Hochschulen von den Studierenden insgesamt 280 Millionen pro Jahr eingetrieben. Jedoch haben nicht alle Universitäten Gebühren mit dem gesetzlich zulässigen Höchstbetrag von 500 Euro erhoben – einige weniger, andere gar nicht. Die Landesregierung will Hochschulen nicht bevorzugen, die bislang hohe Gebühren kassiert haben. Das finden wir auch gut. Sonst würden ausgerechnet die Sparsamen weiterhin Lehrveranstaltungen herunterfahren oder Bibliotheken schlechter ausstatten müssen – der Betrag von 249 Millionen ist aber zuwenig. Die Linke fordert, 500 Euro pro Student und Semester für alle Hochschulen in den Haushalt einzustellen. Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, Gebühren für Studenten nicht zu ersetzen, die die Regelstudienzeit überschritten haben. Das finde ich nicht in Ordnung. Viele Studierende schaffen ihr Studium nicht so schnell, weil sie nebenher jobben müssen.

Wird es Ihrer Meinung nach einen Kompromiß geben?

Die Landesregierung wird Zugeständnisse machen müssen – sie steht bei den Studierenden im Wort.


Das Interview führte Gitta Düperthal und erschien erstmalig am 3. September 2010 in der Tageszeitung junge Welt.