27. Juli 2010 Gunhild Böth

»Stadt wollte Love Parade mit Gewalt durchziehen«

Gunhild Böth, Abgeordnete der Partei DIE und Vizepräsidentin des Landtags in Nordrhein-Westfalen

Trotz vieler offener Fragen: Veranstalter und Verantwortlichen der Kommune tragen Verantwortung. Gespräch mit Gunhild Böth, Abgeordnete der Partei DIE und Vizepräsidentin des Landtags in Nordrhein-Westfalen. Das Interview führte Gitta Düperthal und erschien erstmalig am 27. Juli 2010 in der Tageszeitung junge Welt. 


Wer ist Ihrer Meinung nach für das Desaster der Love Parade in Duisburg verantwortlich? Steckt die Profitgier des Veranstalters Rainer Schaller, Gründer der Fitneßkette McFit, dahinter; die Profilierungssucht des Oberbürgermeisters Adolf Sauerland (CDU) oder reichte die Sicherheitsmaßnahmen der Polizei nicht aus?

So wie ich das bisher einschätzen kann, müssen sowohl der Veranstalter als auch die Verantwortlichen der Stadt Duisburg dafür geradestehen, die das unbedingt durchführen wollten. Bochum hat die Love Parade im vergangenen Jahr ausfallen lassen, weil man die Sicherheit dort für nicht gewährleistet hielt. Der Organisator ist für das Event selbst verantwortlich, schließlich ist es eine private kommerzielle Veranstaltung – und keine Demonstration. Die Polizei ist verantwortlich für An- und Abreise und das Abwenden akuter Gefahren durch Straftaten. Ortskundige hatten im Vorfeld aufgrund von Sicherheitsbedenken gewarnt; unserer Kenntnis nach auch Feuerwehr und Polizei. Die Stadt Duisburg wollte die Love Parade aber mit aller Gewalt durchziehen.

»Wir sind in der Lage, bestmöglichen Schutz für die Menschen zu gewährleisten«, hatte der Innenminister von NRW, Ralf Jäger (SPD), am Freitag gesagt. Jetzt gibt es 19 Tote und mehr als 500 Verletzte. Muß er zurücktreten?

Jäger persönlich ist sicherlich nicht an der Planung beteiligt, er ist ja erst vor wenigen Tagen gewählt worden. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen laufen. Es wird zu klären sein, ob es Alternativkonzepte der Feuerwehr und Polizei zu diesem Nadelöhr zwischen der A59 und Gleisen der Bundesbahn gegeben hat – der Zugang wurde einzig im Bereich des Tunnels und dieser Rampe geöffnet. Warum kam es zum Stau? Waren die Ordner des Veranstalters nicht zur Stelle? Wurden Warnungen von Feuerwehr und Polizei möglicherweise in den Wind geschlagen? Was besagen zwei Gutachten zu Brandschutz und Fluchtwegen, die Grundlage der Genehmigung waren? Aus meiner derzeitigen Sicht zeichnet der Oberbürgermeister von Duisburg verantwortlich.

Der ursprüngliche Begründer der Techno-Party Dr. Motte alias Matthias Roeingh, hat argumentiert, das Ereignis hätte den Charakter einer Manifestation behalten sollen und niemals auf ein geschlossenes Gelände verlegt werden dürfen …

Die Frage ist, wo man 1,5 Millionen Menschen unterbringen kann. Ich kenne keinen einzigen Platz in Nordrhein-Westfalen, wo das möglich wäre. In Essen ist die Love Parade 2007 quer durch die Stadt gezogen. Das Problem in Duisburg war, daß der einzige Zugang zur Veranstaltung gleichzeitig auch Abgang war. Das scheint mir ein nicht durchführbares Konzept zu sein. Weitere Zugänge und Abgänge wurden offenkundig nicht geöffnet. Welche Koordinationsmängel dahinter stecken, ist aufgrund fehlender Erkenntnisse noch nicht deutlich; auch nicht, wer dafür die Verantwortung trägt.

Die Partei Die Linke war von Anfang an nicht von der Idee begeistert, die Love Parade nach Duisburg zu holen – warum?

In der Ratsfraktion hat Die Linke unter finanziellen Gesichtspunkten dagegen gestimmt, weil die Stadt dafür eine Million Euro veranschlagen mußte. Wir waren der Meinung, daß es nicht zu vertreten ist, eine eintägige Veranstaltung in diesem Rahmen zu finanzieren, wenn zugleich Einrichtungen im Jugend-, Sozial- und Bildungsbereich die Schließung droht. Für deren Erhalt hatten wir uns gemeinsam mit SPD und Grünen eingesetzt.