8. September 2010 Bärbel Beuermann

"Man hatte ihnen Piercings herausgerissen"

Bärbel Beuermann, Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Landtag von NRW

Bei den Antinazi-Protesten in Dortmund ging die Polizei äußerst brutal vor. Auch gegen Abgeordnete. Gespräch mit Bärbel Beuermann, Vorsitzende der Linksfraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Das Interview erschien erstmalig am 8. September 2010 in der Tageszeitung junge Welt. Das Gespräch führte Peter Wolter.


Bei den Protesten des Bündnisses »Dortmund stellt sich quer!« gegen einen Neonaziaufmarsch hat es am Samstag massive Polizeiübergriffe gegeben. Augenzeugen berichten von erheblicher Brutalität, vorwiegend gegen Antifaschisten. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Ich habe souveräne Beamtinnen und Beamte erlebt, die Ruhe ausstrahlten. Aber auch das Gegenteil: Schon am Morgen waren meist jüngere sehr aggressiv auf dem Dortmunder Hauptbahnhof gegen Demonstranten vorgegangen. Schon ihre Mimik und Gestik strahlten so etwas wie Haß aus.

Hatten Sie den Eindruck, daß diese Polizisten von ihrer Einsatzleitung bewußt auf Aggressivität getrimmt worden waren?

Gut möglich – viele Demonstranten empfanden das so. Da wurde z.B. gefragt: Was hat man Ihnen denn in den Tee getan? Oder: Was soll das denn? Warum diese Aggressivität? Ich selbst mußte mehrfach Beamte auffordern, mich nicht anzufassen. Hinzu kommt, daß viele Polizisten auch uns ältere Demonstranten einfach geduzt haben. Ich habe mir das mit aller Deutlichkeit verbeten – was aber meist ignoriert wurde.

Es soll auch direkte Übergriffe gegen Abgeordnete gegeben haben.

In der Tat, auch gegen mich. Ich wurde z.B. mit anderen Genossen in die Vorhalle des Bahnhofs gedrängt, wo auch viele junge Demonstranten waren. Die Beamten schubsten uns mit körperlicher Gewalt in die Mitte der Halle. Ich sagte immer wieder: Lassen Sie uns in Ruhe, wir gehen freiwillig. Schließlich zog ich meinen Abgeordnetenausweis, worauf mich ein Beamter, dem ich das Papier unter die Nase hielt, anherrschte: »Geh weiter, du Schlampe!« Dieser Polizist wurde von einem Genossen fotografiert, er läßt sich also identifizieren.

Wir wurden dann durch eine enge Gasse, die die Polizei mit Absperrgittern gebildet hatte, wie Vieh aus dem Bahnhof gedrängt. Ich wies den Beamten, der mich vor sich hertrieb, darauf hin, daß der Weg blockiert sei, worauf er mich mit der Hand in den Nacken schlug. Anderen ging es noch übler: Junge Leute, die sich oben auf den Bahnsteig gesetzt hatten, wurden mit zerissener Kleidung die Treppen heruntergeschleift, einigen lief das Blut aus der Nase, anderen von den Ohren: Man hatte ihnen Piercings herausgerissen.

Waren das Dortmunder Beamte?

Es war gemischt, zum Teil war Bereitschaftspolizei von außerhalb dabei. Es gab dann für mich noch eine brenzlige Situation: Ein Demonstrant wurde so nach vorne gestoßen, daß er mich und zwei Genossen mit herunterriß. Und schließlich fielen dann noch zwei Beamte in voller Ausrüstung auf uns drauf. Ich lag unten, es tat eklig weh, ich geriet regelrecht in Panik. Ich kann mir jetzt aus eigenem Erleben vorstellen, wie sich die jungen Love-Parade-Teilnehmer in der Massenpanik im Duisburger Tunnel gefühlt haben.

Haben denn die Ruhrgebietszeitungen, Privatsender oder der WDR über diese Polizeieinsätze berichtet? Oder über die Angriffe gegen gewählte Volksvertreter?

Ansatzweise, die Brutalität spielte in den wenigen Berichten aber keine Rolle.

Wie will denn die für die Polizei verantwortliche SPD, die mit den Grünen eine Minderheitsregierung bildet, auf die parlamentarische Unterstützung der Linkspartei zählen, wenn sie solche Übergriffe gegen deren Abgeordnete zuläßt?

Ich möchte uns selbst erst einmal zurücknehmen. Uns geht es vorwiegend darum, daß Polizeieinsätze so nicht ablaufen dürfen. Es ist in Dortmund eine Drohszene aufgebaut worden; es ging wohl auch darum, junge Demonstranten einzuschüchtern und sie davon abzuhalten, jemals wieder auf die Straße zu gehen. Ein junges Mädchen, das abends aus der Polizeihaft freikam, sagte mir: »Das war das letzte Mal für mich«. Am Montag hatten wir ein Gespräch mit Innenminister Ralf Jäger (SPD) – ich habe ihm klar gesagt, daß solche Einsätze völlig unakzeptabel sind.

Wie hat er reagiert?

Er hat sich für unsere sachliche Argumentation und unsere Hinweise bedankt.

Hat er sich wenigstens entschuldigt?

Nein.

Welche Konsequenzen ziehen Sie denn jetzt aus dieser Polizeibrutalität?

Darüber beraten wir noch. Eventuell wird es Strafanzeigen geben, auf jeden Fall werden wir entsprechende Anfragen im Landtag stellen.


Das Interview erschien erstmalig am 8. September 2010 in der Tageszeitung junge Welt. Das Gespräch führte Peter Wolter.