4. September 2010 Anna Conrads

"Der Auftritt von Lopavent war eine Frechheit"

Anna Conrads innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Nordrhein-Westfalen

Linksfraktion im NRW-Landtag fordert parlamentarischen. Untersuchungsausschuß zur Love-Parade-Katastrophe. Ein Gespräch mit Anna Conrads innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke in Nordrhein-Westfalen. Das Interview führte Gitta Düperthal und erschien erstmalig am 3. September 2010 in der Tageszeitung junge Welt.

Am Donnerstag hat der Innenausschuß des nordrhein-westfälischen Landtags bis in den späten Abend zu den tödlichen Folgen der Love Parade in Duisburg getagt. Hat irgend­einer der Verantwortlichen Fehler eingestanden? Etwa der Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, Adolf Sauerland (CDU), die Polizeiführung oder Rainer Schaller, Chef der Lopavent GmbH?

Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat als einziger eingeräumt, daß Fehler möglich gewesen sein könnten. Vermutlich hat es Kommunikationspannen beim Polizeieinsatz gegeben – vor allem bei der Koordination zwischen Veranstalter und Polizei.

Der Auftritt von Lopavent war allerdings eine Frechheit. Schaller selbst kam gar nicht erst, aber er hatte zwei Anwälte geschickt, die, statt Antworten zu geben, Gegenfragen stellten. Auch die Stadt Duisburg, vertreten durch ihren Oberbürgermeister, hat sich so präsentiert, daß sie keinerlei Verantwortung trifft. Als Bestätigung wird ein Gutachten der umstrittenen Kanzlei der Anwältin Ute Jasper angeführt, die schon öfter Expertisen für die CDU verfaßt hat. Protokolle von Lautsprechereinsätzen und vom Funkverkehr lagen dem Innenausschuß hingegen nicht vor – teilweise lagern sie bei der Staatsanwaltschaft und bei der Essener Polizei. Wie andere Abgeordnete auch habe ich gefordert, daß sie uns endlich ausgehändigt werden.

Insgesamt hat sich Jäger doch schützend vor die Polizei gestellt. Möglicherweise zu Unrecht – denn die soll Sperrmaßnahmen aufgegeben haben, was dann zur Einkesselung im Tunnel und zur Massenpanik geführt haben soll …

Polizei, Veranstalter und Stadt hatten vereinbart, sich abzusprechen. Offenkundig gibt es aber ein Konglomerat von Fehlern und Pannen, über die widersprüchliche Aussagen vorliegen. Daß der Innenminister sich schützend vor die Polizei stellt, ist nicht unüblich für einen Dienstherrn. Die Polizei war allerdings vor der Veranstaltung über mehrere Monate hinweg bereits in die Einsatzvorbereitung einbezogen.

Jäger ist erst zehn Tage vor dem Ereignis Innenminister geworden. Seltsam ist allerdings, daß niemand nach der Vorgängerregierung fragt. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und Innenminister Ingo Wolf (FDP) wollten diese Love Parade unbedingt haben. Ich verlange, daß alle Amtsträger dazu gehört werden, in welcher Weise sie in die Katastrophe verstrickt waren. Wir fordern einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß, um zu klären, was genau passiert ist.

Es war die Rede davon, daß Jäger Augenzeuge des Gedränges gewesen sein soll, bei dem letztlich 21 Menschen ums Leben kamen. Das zeigt angeblich ein Video des WDR.

Davon weiß ich nichts. Die CDU jedenfalls hat Jäger gefragt, wo er während der Love Parade war. Er erklärte lediglich, über die Katastrophe erst gegen 17.30Uhr informiert worden zu sein. Gerade hinsichtlich der möglichen Kommunikationspannen können wir dem Innenminister aber keinen Persilschein ausstellen. Ich glaube, daß in dieser Situation niemand den Überblick gehabt hat. Es wurde aneinander vorbei- oder auch gar nicht kommuniziert. Es war auch die Rede von ausgefallenen Funkgeräten.

Ist es nicht unverantwortlich, eine Veranstaltung dieser Größenordnung auf einem geschlossenen Gelände mit wenigen Zugängen zu planen?

Möglicherweise hat das Sicherheitskonzept des Veranstalters versagt und die Ordner waren ungenügend geschult. Schaller hat gesagt, er habe mit sogenannten Pusher-Ordnern die Leute zum Weitergehen bringen wollen. Ob das erprobt war, steht in Frage – doch die Stadt Duisburg hat alles genehmigt. Ich habe Schallers Anwälte gefragt, wieso Schaller mit überhöhten Teilnehmerzahlen operiert hat und warum er im Spiegel behauptet, nichts an der Love Parade zu verdienen – aber keine Antwort erhalten.

Die ehemalige Landesregierung und die Verantwortlichen für das Veranstaltungskonzept »Duisburg Kulturhauptstadt 2010« haben es so gewollt. Es wurde politischer Druck aufgebaut. Zum Beispiel in Form diverser Schreiben des CDU-Politikers Thomas Mahlberg an den damaligen Innenminister Wolf: Dieser möge den ehemaligen Polizeipräsidenten zurückpfeifen, hieß es darin, weil der Bedenken gegen das Konzept eingeräumt hatte.


Das Interview führte Gitta Düperthal und erschien erstmalig am 3. September 2010 in der Tageszeitung junge Welt.