24. November 2010 Özlem Alev Demirel

"Allenfalls gibt es eine Parteienverdrossenheit"

Özlem Alev Demirel, Landtagsabgeordnete der LINKEN in NRW

Eine Linken-Abgeordnete in NRW macht sich dafür stark, daß Bürgermeister abgewählt werden können. Gespräch mit Özlem Alev Demirel, Landtagsabgeordnete der LINKEN in NRW. Das Interview führte Gitta Düperthal und erschien erstmalig am 24.11.2010 in der Tageszeitung junge Welt.


Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag in den Landtag von Nordrhein-Westfalen eingebracht, daß Einwohner künftig ihren Bürgermeister vor Ablauf der Amtszeit abwählen können. Anlaß ist die Rücktrittsweigerung des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland (CDU), der die spektakuläre Loveparade durchgezogen hatte, die mit 21 Toten endete. Wie begründen Sie den Antrag konkret?

Die Ereignisse in Duisburg haben deutlich gemacht, daß es eine Möglichkeit geben muß, die Amtszeit des Oberbürgermeisters vorzeitig zu beenden. Einwohner hatten eine Unterschriftensammlung gestartet und ihn zum Rücktritt aufgefordert. Der Rat der Stadt Duisburg hat sich auch damit beschäftigt. Aber dort wurde dieser Antrag, ein Abwahlverfahren einzuleiten, aus parteitaktischen Gründen abgelehnt. Die Gesetzeslage ist so, daß ein solches Verfahren nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Stadtrat einzuleiten ist – erst dann kann die Bevölkerung darüber entscheiden. Wir meinen, daß das nicht demokratisch ist. Spätestens seit dem Skandal um Sauerland muß klar sein: Wer von der Bevölkerung gewählt ist, muß auch durch sie wieder abwählbar sein.


Wie sehen das die Fraktionen der anderen Parteien im Landtag. Und wie sind die Aussichten, daß Ihr Antrag beschlossen wird?

In der ersten Lesung im Plenum haben SPD, Grüne und FDP signalisiert, daß sie auch ein Problem in dieser Frage erkannt haben. Es gibt dazu aber unterschiedliche Auffassungen. Wir haben vorgesehen, daß beim Abwahlverfahren – in der zweiten Stufe, wenn es eingeleitet ist – keine Quoren existieren. Die Landesregierung von SPD und Grünen befürwortet jedoch, daß sich ein Drittel aller Wahlberechtigten bei der Abwahl beteiligen und mit Ja stimmen muß.


Die CDU hatte in der Landtagsdebatte zur Kenntnis gegeben, daß sie keine Veranlassung für ein solches Gesetz sieht. Welche Gründe hat sie genannt ?

Sie meint, daß es überhaupt kein Problem gibt, es müsse also auch nichts verändert werden. Sie war noch nicht einmal bereit, einen einzigen inhaltlichen Satz zur Debatte beizusteuern. Statt dessen fingen ihre Abgeordneten an, mit geschichtsverzerrenden Argumenten und altkonservativer Rhetorik über die DDR herzuziehen, um Die Linke in Mißkredit zu bringen.


In Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein gibt es die Möglichkeit bereits, daß Wähler einen Bürgermeister des Amtes entheben können. Wurde sie erfolgreich genutzt?

Bis 2007 gab es, laut einer Studie der Universität Potsdam, insgesamt rund 50 erfolgreiche Verfahren – die meisten davon wurden in Brandenburg über Bürgerbegehren eingeleitet. Meistens geschah das, wenn Bürgermeister in Klüngel oder Korruption verstrickt waren. Wir meinen, daß die Demokratie so lebendiger gestaltet wird und dieses wichtige Instrument deshalb bundesweit flächendeckend eingeführt werden muß. Insofern sollten auch die Duisburger selbst entscheiden, ob Sauerland im Amt bleiben soll oder nicht. Der Oberbürgermeister repräsentiert schließlich die Stadtbevölkerung. Entscheidet diese, daß ihre Interessen durch ihn nicht mehr vertreten werden, muß er gehen.


Könnte ein Mehr an Demokratie durch die Möglichkeit einer vorzeitigen Bürgermeisterabwahl die vielbeklagte Politikverdrossenheit der Menschen reduzieren?

Ich glaube nicht, daß die Bevölkerung tatsächlich politikverdrossen ist. Das zeigen die vielen Aktivitäten und Demonstrationen, bei denen die Bürger aktiv werden, beispielsweise auch die Bildungsproteste in den vergangenen Jahren. Allenfalls gibt es eine Parteienverdrossenheit. Viele fragen sich, warum soll ich diese Parteien denn wählen, sie machen danach sowieso nur, was sie wollen. Deshalb ist ein Instrument wie die Bürgermeisterabwahl wichtig.