19. Oktober 2011 Ralf Michalowsky

»Ein knallhartes Netzwerk zur Geldbeschaffung«

Ralf Michalowsky, religionspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE

In NRW beklagt sich die evangelische Kirche, daß sie zu wenig Mittel für ihre sozialen Dienste hat. Ein Gespräch mit Ralf Michalowsky, religionspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im nordrhein-westfälischen Landtag. Interview: Peter Wolter (erschienenin der Tageszeitung junge Welt am 19.10.2011).


Die evangelische Kirche in Nordrhein-Westfalen (NRW) beklagt sich, sie könne aus Geldmangel ihren sozialen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Wie muß man das verstehen? Welche Verpflichtungen meint sie und wieso fehlt ihr Geld?
Sie klagt darüber, daß die Landesgesetzgebung verhindert, daß sie wie die Arbeiterwohlfahrt und andere Träger z.B. von Kindertagesstätten eine 100prozentige Förderung bekommt. Bislang muß die Kirche noch zehn bis zwölf Prozent der Kosten selbst bezahlen. Ihre Vertreter argumentieren jetzt damit, daß die Kirche erstens wenig eigene Mittel hat und zweitens in armen Städten, wie etwa Gelsenkirchen, auch Kinder muslimischen Glaubens in Kindergärten aufnimmt.

Aber so schlecht ist doch die Finanzausstattung der evangelischen Kirche nicht. Sie kassiert Kirchensteuer, sie bekommt Zuwendungen vom Staat, hat Grundstücke und eigene Unternehmen. Was bekommt sie eigentlich im Jahr vom Land?
Ein Beispiel: In NRW kassieren die Kirchen jährlich über 20 Millionen nur zur Bezahlung ihrer Führungsstruktur, also ihrer Bischöfe usw. Die Summe steigt von Jahr zu Jahr.

Was habe ich als atheistischer Steuerzahler denn mit Bischöfen zu tun?
Das frage ich mich auch, in NRW gibt es immerhin 30 Prozent der Bürger, die weder in der einen noch in der anderen Kirche sind, aber über ihre allgemeinen Steuern die Gehälter von Kirchenfürsten zahlen. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich in Deutschland ein knallhartes Netzwerk zur Geldbeschaffung für die Kirchen etabliert. Hier in Düsseldorf z.B. leistet sich die evangelische Kirche einen Lobbyisten für den Landtag, dessen einzige Aufgabe es ist, die Abgeordneten zu bearbeiten.

Steht die katholische Kirche auch so gut da wie ihre pro­testantische Konkurrenz?
Beide kassieren in Deutschland im Jahr etwa 4,5 Milliarden Euro nur an Kirchensteuern. Sie operieren mit der Caritas-Lüge – d.h. mit der Behauptung, das Sozialsystem werde zusammenbrechen, wenn sich die Kirche aus den sozialen Diensten zurückzieht.Würde der Staat aber die von den Kirchen geleisteten Aufgaben selbst übernehmen, müßte er lediglich den Anteil der Kirchen zusätzlich bezahlen – das wären bundesweit etwa 800 Millionen Euro im Jahr. Im Gegenzug könnten dann steuerliche Priviligien wie die Absetzbarkeit der Kirchensteuer wegfallen, wodurch der Staat Mehreinnahmen von rund drei Milliarden Euro hätte. Unter dem Strich stünde also ein Plus von 2,2 Milliarden Euro – für den Staat!

Was tut die Linkspartei, oder konkret: die Landtagsfraktion, dagegen, daß die Kirchen mit öffentlichen Geldern so tun, als seien sie mildtätig und sozial engagiert? Die öffentlichen Zuwendungen sind doch letztlich nichts anderes als die Finanzierung kircheneigener Propaganda.
Wir haben jetzt im Landtag eine kleine Anfrage gestellt, um präzise zu erfahren, wieviel Geld die Kirchen vom Land bekommen. Testweise erst einmal, außerdem haben wir noch drei große Anfragen zu diesem Komplex in der Pipeline. Wir wollen wissen, welche Zuwendungen an die Kirchen es im Bereich der Schulen, Kindergärten und Universitäten gibt. Es weiß ja auch kaum jemand, daß die theologische Ausbildung an den Universitäten ebenfalls vom Staat bezahlt wird. Ebenso alle Religionslehrer. Es gibt keine andere Einrichtung, keinen Verein, der sich so in den Strukturen dieses Staates verankert hat wie die Kirchen.

Könnte Ihre Fraktion denn Bündnispartner im Landtag finden?
Ich höre immer wieder, daß wir die einzigen sind, die sich kritisch äußern.

Gibt es zwischen den diversen Fraktionen Ihrer Partei eine Koordinierung kirchenkritischer Aktivitäten?
Im Moment noch nicht, aber sinnvoll wäre es schon, wenn wir unsere Aktivitäten bündelten und uns gegenseitig auf dem laufenden hielten, wo man ansetzen kann. Man kann es ja heutzutage keinem Menschen mehr begreiflich machen, daß wir heute noch dafür Entschädigungen leisten müssen, daß die Kirche früher einmal enteignet wurde. Und man muß sich auch fragen, woher die Kirche dieses enteignete Vermögen hatte: Das war den Bauern abgepreßt worden, durch Krieg und Eroberung geraubt und durch Betrug ergaunert.

Quelle: http://archiv.linksfraktion-nrw.de/presse/im_wortlaut/detail/artikel/ein-knallhartes-netzwerk-zur-geldbeschaffung/