DIE LINKE lehnt den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ab

flickr: eisenrah

Insbesondere zum Ende des Jahr 2010 wurde der vierzehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag heftig diskutiert. Gemeint ist der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Durch die geplanten Änderungen soll der Jugendschutz im Internet verbessert werden. Ein gutgemeintes, wichtiges und unterstützenswertes Ziel. Doch ist das, was zu Papier gebracht wurde, leider ein Rohrkrepierer. Denn die Jugend soll mit völlig unzureichenden Mitteln geschützt werden!

In Anlehnung an das Fernsehen soll z.B. über Sendezeiten der Jugendschutz sichergestellt werden – für das internationale Medium Internet ein absolut unsinniger Ansatz. Jede/r halbwegs clever 13-jährige kann sich so viele Gewaltvideos und Pornographie aus dem Netz herunterladen, wie er/sie ihren Lebtag lang nicht gucken kann – an diesem Fakt ändert der vorliegende Entwurf nicht das Geringste!

Des Weiteren stellt der Änderungsentwurf des JMStV einen immensen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung dar. Die Betreiber von Homepages sollen nun ihre Seiten mit einer Altersfreigabe versehen, wer falsch deklariert, kann mit Bußgeldern belangt werden. Allerdings sind die privaten Betreiber kleiner Homepages gar nicht in der Lage zu beurteilen, welche Inhalte denn nun „entwicklungsbeeinträchtigend“ sind, wie es im Beamten-Deutsch heißt. Auch sind private Betreiber nicht in der Lage zu beurteilen, was „altersgerecht“ ist, sprich, welche Inhalte für welches Alter O.K. sind und welche nicht. Es ist weiter unzumutbar den Betreibern von Blogs abzuverlangen, dass sie ständig darauf achten, welche Kommentare eventuell jugendgefährdend sein könnten. Im Resultat, um auf der sicheren Seite zu sein, werden viele Seitenbetreiber dazu übergehen, ihre Seite ab 18 freizugeben oder aus dem Netz zu nehmen – und damit Kindern und Jugendlichen ihr Recht auf Informationen nehmen.

Das wir DIE LINKE im Landtag von NRW nicht unterstützen: Wir stimmen gegen den vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag!

Positionspapier der Fraktion DIE LINKE zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)

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Ralf Michalowsky, medienpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Landtag von NRW, stellt in einem ausführlichen Papier die Position seiner Fraktion zum vorliegenden Entwurf des Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) dar.

Position zum JMStV:

  • Ganz zu Anfang: der vorliegende Entwurf bietet nicht mal im Ansatz eine Verbesserung des Jugendschutzes im Internet: Jede/r halbwegs clevere 13-jährige kann sich so viel Gewaltvideos und Pornographie aus dem Netz laden, wie er oder sie ihren Lebtag nicht wird gucken können. An diesem Fakt ändert der vorliegende Entwurf nichts!
  • Dieser Entwurf hat das grundlegende Missverhältnis, das Internet nach den Maßstäben des Rundfunks regeln zu wollen. Das zeigt sich insbesondere an der Einführung von Kennzeichnungen zur Altersklassifizierung. Diese sind für die Anbieter von herkömmlichen Inhalten freiwillig, nicht aber für die Anbieter von nutzergenerierten Inhalten (§ 5 Abs. 3 JMStV).
  • Private Nutzer und kleine Anbieter wären damit angehalten, ihre Webseiten auf eine mögliche Entwicklungs- und Erziehungsbeeinträchtigung zu prüfen. Praxistests des AK-Zensur haben gezeigt, dass kleine und mittlere Inhalteanbieter eine rechtssichere Einstufung nicht vornehmen können. Da Webseiten zudem dynamische Medien sind – im Unterschied zum Rundfunk enthalten sie keinen statischen Inhalt, der abschließend beurteilt werden kann –, sich somit unter Umständen im Minutentakt ändern sowie Links und Kommentare enthalten, wäre ihnen die Aufnahme in die Whitelist (unbedenkliche Angebote) von Jugendschutzprogrammen (Filtersoftware) nach Altersklassen automatisch verwehrt.Private Nutzer und kleine Anbieter wären damit angehalten, ihre Webseiten auf eine mögliche Entwicklungs- und
  • Insbesondere Angebote aus Blogs und Sozialen Netzwerken, die sich den irrsinnigen Kontrollverfahren aus der Welt des nationalen Rundfunks wissentlich oder unwissentlich nicht unterziehen, verschwänden künftig hinter Filterprogrammen. Nahezu das gesamte Web2.0 wäre potentiell jugendgefährdend. Zugleich hätte es im Falle von per Staatsvertrag nicht zu kontrollierenden ‚ausländischen’ Anbietern ebenfalls Folgewirkungen auf die Verantwortlichkeit der ‚einheimischen’ Access Provider. Eine Sperrinfrastruktur entstände mittelbar und nutzerautonom durch im Umgang mit digitalen Medien überforderte Eltern. Ausschluss und Zensur, statt Partizipation und Kommunikation wären die Folgen.
  • Die Novellierung des JMStV bildet einen gravierenden Eingriff in die Kommunikations- und Meinungsfreiheit der Inhalteanbieter, wozu im Netz heute bekanntlich potenziell jeder gehört. Den Inhalteanbietern werden mit den Altersstufen und bei der Einbindung von Nutzerinhalten erhebliche neue Auflagen gemacht.
  • Ein Hauptproblem des Gesetzentwurfs ist damit folgendes: Die neuen faktischen Anbieterpflichten stehen völlig unverhältnismäßig zu der erhofften geringen Verbesserung des Jugendschutzes. Das Gesetz sorgt für neuen Regulierungsstress bei Website-Betreibern und bringt Netzsperren durch die Hintertür, ohne dass der Schutz vor jugendgefährdenden Inhalten wirklich verbessert würde. Hierzu noch mal ganz deutlich die wichtigsten Kritikpunkte: Jugendschutz über Sendezeiten – analog dem Fernsehen – ist für das Internet absurd und letztlich nicht mehr als ein Alibi.
  • Das Ausland mit all seinen Angeboten wird von den Ministerpräsidenten ausgeblendet.
  • Mit der verlangten Alters-Kennzeichnung (ab 6 Jahre, ab 12 Jahre, ab 16 Jahre und ab 18 Jahre) und der Pflicht, nutzergenerierte Inhalte auf jeden Fall altersstufenkennzeichnungsgerecht zu filtern, sind viele nichtkommerzielle Anbieter überfordert.
  • Mit der Regelung, dass Inhalteanbietern, die die „freiwillig“ gekennzeichneten Inhalte mit einer falschen Altersfreigabe ausweisen, hohe Geldstrafen drohen, sorgt man dafür, dass möglichst alle Angebote ab 18 Jahre gekennzeichnet sind.
  • Den Jugendschutzprogrammen soll durch anbieterseitige Kennzeichnung das Filtern vereinfacht werden. Dabei gilt: Wer sich nicht selbst als unbedenklich deklariert, ist bedenklich. Wer als Anbieter nicht mitmacht, ist verdächtig – und könnte in den Filterprogrammen vorsichtshalber ausgefiltert werden.
  • Während den Inhalteanbietern sehr viel vorgeschrieben wird, steht im Gesetz erstaunlich wenig über die Funktionalitäten der Jugendschutzprogramme.
  • Die Internetprovider werden gezwungen, Jugendschutzfiltergramme für ihre Nutzer „leicht auffindbar“ anzubieten. Dabei sind solche Programme im offenen Internet leicht auffindbar.
  • Die KJM soll für den Jugendschutz im Internet zuständig sein. Der Bund hat der FSK den Jugendschutz im Filmbereich übertragen. Doch wer wird bei Filmen und Spielen im Internet das letzte Wort haben? Dies ist bisher unklar.


Eine Neuverhandlung des JMStV wäre insofern unproblematisch, als der bestehende weiter gelten würde. Neuverhandlungen sollten mit dem Ziel geführt werden:

  1. Kein Jugendschutz über Sendezeiten im Internet
  2. Keine Alterskennzeichnungspflicht für nichtkommerzielle Anbieter von Blogs und Betreiber von sozialen Netzwerken
  3. Kein Zwang für Provider, Jugendschutzfilter anzubieten


Statt Jugendmedienschutz in Form von behördlich sanktionierter Bewahr- und Verbotspädagogik mit erheblichen Kollateralschäden für die Meinungsfreiheit zu betreiben, ist es sinnvoller, besonders kind- und jugendgerechte Angebote im Netz auszuzeichnen und zu vernetzen. Mit www.ein-netz-fuer-kinder.de beispielsweise wurde für Kinder im Alter von 8-12 Jahren bereits ein kindgerechter Surfraum geschaffen.

15. Dezember 2010

Abstimmung zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) keine Sternstunde des Parlamentarismus

Ralf Michalowsky, medienpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Landtag von NRW
Ralf Michalowsky, medienpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Landtag von NRW

Der medienpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Landtag von NRW, Ralf Michalowsky, kritisiert das Abstimmungsverhalten zum umstrittenen JMStV in den Bundesländern.

„Was wir hier erleben, ist keine Sternstunde des Parlamentarismus“, erklärt Michalowsky. „Keine Partei hat zum JMStV eine durchgehend konsequente Position, das gilt auch für DIE LINKE. Jede Partei hat bereits dafür und auch dagegen gestimmt. Oft gegen die eigene Überzeugung und einzig aufgrund von Koalitions- und Fraktionszwängen oder gar politischer Deals.“

„Das Abstimmungsverhalten zeigt vor allen Dingen eines ganz deutlich: Dieser JMStV ist unausgegoren und in weiten Teilen unsinnig. Kaum jemand ist in der Lage sich eindeutig für ihn auszusprechen.“

Zur eigenen Position sagt Michalowsky: „In NRW ist DIE LINKE die einzige Partei, die von Anfang an ‚Nein‘ gesagt hat. Dieser JMStV ist in weiten Teilen unsinnig. Er liefert keine Verbesserung des Jugendschutzes im Netz, weil er das Internet wie den Rundfunk behandelt und zum Beispiel versucht, den Jugendschutz über Sendezeiten zu regeln. Wer so etwas versucht, hat keine Ahnung von der Funktionsweise des Internets. Das haben wir von Beginn der Diskussion an so gesehen und diese Sicht hat sich bis heute nicht geändert. Darum wird DIE LINKE dagegen stimmen.“