Wir dokumentieren die Rede des Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Landtag NRW, Wolfgang Zimmermann zum Haushaltsentwurf 2012, gehalten am 21. Dezember 2011
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss es eingangs sagen: Es ist unfassbar. Es ist für mich unfassbar, dass Sie, Herr Papke, und Sie, Herr Laumann, hier wieder die Politik propagieren – Haushaltskonsolidierung, Stellenabbau, Kahlschlag –, für die Sie abgewählt worden sind. Ihre Politik ist gescheitert. Aber Sie faseln hier und heute immer wieder das Gleiche.
(Beifall von der LINKEN)
Wenn diese Regierung dieser Politik folgen würde – und mir ist in den letzten Monaten schon ein bisschen angst und bange geworden, dass sie das vollziehen will –, dann würde sie genauso scheitern, wie Sie im vorigen Jahr gescheitert sind.
Aber nun zu dem Haushalt. Wir haben es, werte Landesregierung, in den letzten Wochen und Monaten bereits mehrfach gesagt, ich sage es hier noch einmal ganz deutlich: Die verspätete Einbringung des Haushalts 2011 verstößt gegen die Verfassung in unserem Lande.
(Beifall von der LINKEN)
Deshalb haben wir uns auch entschlossen, vor das Landesverfassungsgericht zu gehen und dagegen zu klagen. Es wäre rechtlich einwandfrei und auch absolut machbar gewesen,
(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])
die Einbringung im September vorzunehmen und die Beratungen im Dezember, also jetzt, abzuschließen. Dann hätte es für die Menschen, für die Organisationen und für die Initiativen, die in diesem Lande davon abhängig sind, Sicherheit gegeben. Das haben wir gefordert.
Wie diese Minderheitsregierung mit den demokratischen Beteiligungs- und Entscheidungs-rechten des Parlaments umspringt, kann man nur als unglaublich bezeichnen. Das können wir so nicht hinnehmen. Ich bin gespannt, wie die Richter in Münster entscheiden werden. Das wird aber leider noch etwas dauern.
Das bedeutet, dass bis zur geplanten Verabschiedung im März nächsten Jahres – das ist die Planung – viele soziale Projekte und Initiativen in unserem Land Federn lassen müssen. Wichtige Investitionsvorhaben werden verzögert, unter Umständen sogar verhindert. Das schadet dem regionalen Wirtschaftskreis in NRW. Das ist schlecht für Wachstum, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit. Das sollten Sie bei diesem Vorgehen bedenken bzw. hätten es bedenken sollen.
(Beifall von der LINKEN)
Das Urteil des Verfassungsgerichtshofes zu den Prüfrechten des Landesrechnungshofes bei der NRW.BANK bestärkt uns dabei. Demokratie kann nur funktionieren, wenn die Exekutive die Rechte des Parlaments und der Rechnungsprüfer nicht ignoriert. Die Einzelpläne und Anlagen sind den Fraktionen erst Montag, also vorgestern, zugegangen. Das ist doch nichts anderes als eine Missachtung des Parlaments. – Herr Finanzminister, wie soll da heute eine ernsthafte Etatberatung möglich sein? Konkret konnte bisher auch niemand et-was sagen – es sei denn, er hat von bestimmten Entscheidungen, die da drinstehen, schon vorher gewusst.
Wir als Die Linke sind angetreten, Veränderungen und einen wirklichen Politikwechsel herbeizuführen. Eine halbe Reformpolitik – und das werfen wir Ihnen, liebe Landesregierung, vor – und ein halber Politikwechsel in Nordrhein-Westfalen sind zusammengerechnet eine ganze Katastrophe. Und das machen wir nicht mit.
Sie haben, Frau Ministerpräsidentin, dankenswerterweise unter dem Stichwort „präventive Sozialpolitik“ anfangs ein bisschen nach links geblinkt. Aber nicht nur geblinkt, würde ich sagen: Sie haben mit unserer Hilfe auch einiges vollzogen. Kollege Priggen hat das in seiner Rede eben dankenswerterweise auch deutlich angesprochen. Ich sage dazu: Wir haben Sie zu bestimmten Maßnahmen auch ein wenig getrieben. Aber seit dem Frühjahr sind Sie dabei, rechts abzubiegen, indem Sie mehr auf CDU und FDP und ihre verheerende Politik der Vergangenheit eingehen.
(Beifall von der LINKEN)
Das ist mit uns in der Tat nicht zu machen. Das schadet der Mehrheit der Menschen in diesem Land. Das ist mit uns nicht machbar.
Wir haben den Nachtragshaushalt 2010 und den Haushalt 2011 nicht abgelehnt. Wir haben sie passieren lassen, und zwar aus sachlichen Gründen. Uns kommt es ausschließlich – das haben wir immer wieder betont – auf die Inhalte an.
Werte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen: Sie mussten sich hauptsächlich wegen wahlpolitischer Erwägungen von der unsozialen Agenda-2010-Politik der Schröder-und-Fischer-Ära absetzen. Und es war gut, dass Sie das ein Stück weit getan haben.
Deshalb hat es ja auch diese moderate Akzentverschiebung – wie wir das genannt haben – gegeben. Und nur deshalb haben wir uns enthalten: weil Sie diese moderate Akzentverschiebung in diesem Lande vorgenommen haben. Das haben Sie ein Jahr getan. Deshalb haben wir uns enthalten. Deshalb sind die beiden Haushalte, Nachtrag 2010 und Haushalt 2011, durchgekommen. Diese Akzentverschiebung plus die Gesetzesinitiativen und Anträge über den Haushalt hinaus, die wir selbst eingebracht haben, aber auch die, die Sie dankenswerterweise eingebracht haben und die in die richtige Richtung gingen, haben wir mit-getragen. Wenn Sie das in Zukunft weitermachen würden, hätten Sie unsere Unterstützung. Das Gegenteil machen Sie jedoch momentan. Und da haben Sie unsere Unterstützung in keinem Fall.
(Beifall von der LINKEN)
Wir sind hier im Gegensatz zu allen anderen berechenbar. Sie wissen, es geht uns nur um die Inhalte. Es geht uns um die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen. Dafür stehen wir. Das tragen wir mit. Das treiben wir voran. Alles andere, eine Politik im Interesse des Kapitals, machen wir in diesem Landtag nicht mit.
(Beifall von der LINKEN)
Da haben wir klare Maßstäbe: Sozial- und Personalabbau, Privatisierungen, die Politik der Vergangenheit tragen wir nicht mit. Solche Haushalte lehnen wir ab.
(Beifall von der LINKEN)
Aber auch wenn der Löwenanteil der steuerlichen Mehreinnahmen auf dem Altar der Konsolidierung geopfert wird, können wir weder zustimmen noch uns enthalten. Denn in dem Fall bleiben die elementaren wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erfordernisse für Nord-rhein-Westfalen klar auf der Strecke.
Im Haushalt 2011 wurden diese Haltelinien – wie wir sie nennen – nicht überschritten. Vor allem in den Bereichen Bildung und Kommunales wurden die Ausgaben erhöht.
Aber nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bewegten Sie sich auf CDU und FDP zu. Die Mehreinnahmen und Minderausgaben in Höhe von 3 Milliarden € wurden komplett zur Reduzierung der Nettoneuverschuldung verwendet.
Die Investitionen von heute – werte Kolleginnen und Kollegen, das muss man klar sehen – sind aber der gesellschaftliche Reichtum von morgen. Hier sprechen wir von notwendigen Ausgaben für die Zukunftsvorsorge, die sich mittelfristig selbst finanzieren. Hier sollte es eigentlich eine gemeinsame Schnittmenge mit der Minderheitsregierung geben.
Im Gegensatz zur CDU und FDP sehen wir Linken den Staat in einer aktiven Rolle. Er kann durch Interventionen nachteilige wirtschaftliche Entwicklungen korrigieren. Wir teilen nicht die Auffassung der Neoliberalen, die den Staat nur als Nachtwächter, als unproduktiven Sektor und Kostgänger der Privatwirtschaft betrachten. Das ist mit uns nicht machbar.
Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf wird der verhängnisvolle Kurs der Deinvestitionen fortgesetzt. Siehe Neuverschuldung: Mit aller Macht wird diese unter die Schwelle der eigen-finanzierten Investitionen gedrückt.
Herr Finanzminister, ist das vielleicht der Preis dafür, dass die FDP, die jetzt über ihren Fraktionsvorsitzenden, Herrn Papke, noch ein wenig gebrüllt hat, letztendlich aller Voraus-sicht nach den Haushalt doch passieren lässt? Ist das das Kalkül?
Herr Finanzminister, noch nicht einmal die in der Finanzwissenschaft anerkannte goldene Regel füllen Sie aus, wonach öffentliche Investitionen durch Kredite finanziert werden können.
Die gesamten Investitionen des Landes liegen übrigens deutlich höher als ausgewiesen. Warum? Werden von den Gesamtinvestitionen die öffentlichen Investitionszuschüsse abgezogen, ergeben sich die niedrigen sogenannten eigenfinanzierten Investitionen. Es ist die freiwillige Entscheidung des Landes, die eigenfinanzierten Investitionen zur relevanten Höchstgrenze für die sogenannte goldene Regel zu machen. Das wissen Sie ganz genau.
Ihr – leider immer noch – Genosse Thilo Sarrazin hat damals als Finanzminister in Berlin die Gesamtinvestitionen und nicht die eigenfinanzierten Investitionen zum Maßstab für eine verfassungskonforme Neuverschuldung gemacht. Die Haushaltsgesetze des Bundes und auch die Landeshaushaltsordnung erlauben das ausdrücklich.
Staatsverschuldung ist beileibe nicht – wie immer wieder von der CDU, aber oft auch von SPD und Grünen behauptet – ein Problem der Generationengerechtigkeit. Die weitverbreitete Auffassung, dass Staatsschulden per se etwas Verwerfliches und Negatives seien, blendet die volkswirtschaftlichen Vorteile kreditfinanzierter Investitionen völlig aus.
Nehmen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis, dass nicht nur die Schulden, sondern in exakt gleicher Höhe auch die Vermögen an die nächste Generation vererbt werden. Die nächste Generation profitiert zukünftig von heute kreditfinanzierten Investitionen in öffentliche Infrastruktur, Bildung und ökologische Erneuerung. Der Blick über die Generationen zeigt keinerlei Ungerechtigkeit. Das Problem besteht eben in erster Linie nicht zwischen Alt und Jung, sondern zwischen Arm und Reich. Das ist der Kern der Wahrheit. Und der wird in der Diskussion ständig verdrängt.
(Beifall von der LINKEN)
Im Haushaltsgesetz 2011, Herr Finanzminister, Frau Ministerpräsidentin, gab es kluge Sätze zur Begründung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:
„Die nur schleppende Erholung in den entwickelten Industriestaaten außerhalb Deutsch-lands ist ein Hinweis auf die weiterhin labile Wirtschaftslage. Hinzu kommt, dass die Bereinigung der Finanzmarktkrise noch nicht abgeschlossen ist. Das zeigen auch die Probleme Griechenlands und Irlands im Euroraum. Eine erneute Zuspitzung ist nicht auszuschließen.“
Eine erneute Zuspitzung ist nicht auszuschließen. – Jawohl. Aber genau das erleben wir doch jetzt. Nach Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute stehen Deutschland und Europa an der Schwelle zu einer Rezession. Darüber kann auch der erfreulich positiv ausgefallene ifo-Stimmungsindex in keiner Weise hinwegtäuschen. Wann ist denn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört, wenn nicht gerade jetzt, Herr Finanzminister? Hinzu kommt die ungelöste Eurokrise. Wann, wenn nicht jetzt, müssen die öffentlichen Haushalte antizyklisch ausgerichtet werden? Wo ist ein NRW-Zukunftsinvestitionsprogramm für die energetische Gebäudesanierung, den sozialen Wohnungsbau und die Sanierung der maroden öffentlichen Infrastruktur?
Und was wollen Sie stattdessen? Sie wollen lieber heute als morgen – mittlerweile jedenfalls –, nachdem Sie, Frau Ministerpräsidentin, noch vor nicht allzu langer Zeit gegen die Schuldenbremse gewettert haben, eine Schuldenbremse mit null Verschuldung in die NRW-Verfassung einstellen.
Aber die öffentlichen Haushalte haben kein Ausgabenproblem, sondern eindeutig ein Einnahmenproblem.
(Beifall von der LINKEN)
Alle öffentlichen Haushalte sind strukturell unterfinanziert. Das haben uns in erster Linie die SPD-Finanzminister Eichel und Steinbrück auf der Bundesebene eingebrockt, natürlich wie immer in diesen Fragen mit tatkräftiger Unterstützung der CDU und der FDP.
(Özlem Alev Demirel [LINKE]: Und der Grünen!)
– Und der Grünen. Die habe ich fast vergessen. Sie haben ja mitgemacht.
Wir sagen: Die beste Schuldenbremse ist unter anderem die Vermögensteuer. Sie wurde übrigens trotz der Versprechen, die Sie damals gegeben haben, in den sieben Jahren der Schröder-Fischer-Regierung nicht wieder eingeführt, nachdem sie unter der Kohl-Regierung abgeschafft worden war.
Was Sie letztlich wollen, ist eine Zukunfts- und Demokratiebremse. Das ist nämlich die Schuldenbremse: eine Zukunfts- und Demokratiebremse. Damit führen Sie einen handlungsunfähigen Staat herbei, der nicht mehr in der Lage ist, die notwendigen öffentlichen Güter bereitzustellen. Unser Land NRW verliert – so wie jedes Land in dieser Situation – vollkommen seine Haushaltsautonomie. Die Bundesrepublik Deutschland ist aber kein Zentralstaat, sondern ein Bund der Länder.
So notwendig eine gerechte Steuerpolitik auf Bundesebene ist, so wichtig ist es auch, keine Gelder in NRW zu verschenken. Leider plant die Landesregierung aber genau das. Wir haben im Landtag gefordert, dass sich NRW nicht über die Erste Abwicklungsanstalt und die NRW.Bank an der Umschuldung der privaten Banken für Griechenland beteiligen darf. Da-bei geht es um mindestens 500 Millionen €. Das Rettungspaket schützt primär die privaten Banken und löst weder die strukturellen Probleme Griechenlands noch verhindert es die Ausbreitung auf die anderen gefährdeten Länder. Die Strukturanpassungsprogramme der Troika machen Griechenland zu einer Art Halbkolonie. Apathie und Elend nehmen in diesem Lande zu. Das verantwortet die EU. Das verantwortet selbstverständlich auch diese Bundesregierung.
Werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, käme dieses Geld den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Griechenland, den Erwerbslosen dort, den von der Krise Gebeutelten zugute, dann hätten wir keine Probleme. Dann wären wir bereit, unseren Bei-trag dazu zu leisten. Wir stehen da in der Tat in der Tradition der internationalen Solidarität. Wir wissen, wie die faschistische deutsche Wehrmacht in Griechenland in den vierziger Jahren gewütet hat. Wir wissen um die Verantwortung des deutschen Staates, die übrigens nicht auf der höchsten Ebene wahrgenommen wird. Wir sind mit dem griechischen Volk solidarisch. Gerade deshalb lehnen wir ein Sparprogramm in schlimmster IWF-Tradition eindeutig ab.
Der Genosse Willi Brandt geißelte Anfang der 80er Jahre das Schuldenregime der IWF und der Weltbank gegen die Länder des Südens. Das war noch Solidarität in bester sozialdemokratischer Tradition. Ich muss zugestehen: Vor 30 Jahren war mir die SPD zwar auch schon nicht links genug; aber angesichts der Zersetzung der besten sozialdemokratischen Traditionen in diesem Land – das meine ich vor allen Dingen bundesweit – überkommen mich fast nostalgische Gefühle.
Der Finanzminister will über 500 Millionen € verschenken. Natürlich gibt es eine Alternative. Würden die privaten Zockerbanken gezwungen, ihre Griechenlandanleihen komplett abzuschreiben, dann bräuchte nicht wieder der Staat als Retter der letzten Instanz auf den Plan zu treten. Aber die genauen Zahlen werden uns nur in vertraulicher Sitzung genannt. Geld für Investitionen, Soziales, Zukunft und Bildung ist offenbar nicht genügend da. Stattdessen wird mitten in der Krise – die wir schon haben – versucht zu konsolidieren. Das ist ökonomischer Unsinn. Das wissen Sie auch ganz genau.
Nach nur einem Jahr moderater, aber leider oft unzureichender Reformen fehlen Ihnen der Mut und die Entschlossenheit, die Zukunftsaufgaben in Nordrhein-Westfalen konsequent anzugehen, Frau Ministerpräsidentin. Stattdessen legen Sie hier einen Haushaltsentwurf vor, den die FDP passieren lassen kann und den im Grunde genommen auch Sie von der CDU passieren lassen müssten, wenn es Ihnen auf die Inhalte ankäme und nicht auf rein taktisch motivierte parlamentarische Spielchen.
Ich möchte an dieser Stelle auch etwas zu der Erhöhung der Diäten und der Rentenversorgung sagen, über die wir diskutieren. Bei sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern stößt diese dreiste Erhöhung durch die Mehrheit in diesem Hause auf Empörung.
(Beifall von der LINKEN)
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land, die einen Riester-Sparvertrag abgeschlossen haben, stellen fest, dass sich ihre zukünftigen Rentenansprüche infolge der globalen Finanzmarktkrise des Kapitalismus stark reduzieren. – Frau Ministerpräsidentin, ich frage Sie: Sind Sie bereit, allen Beschäftigten des Landes eine freiwilligen Zuschuss zur Riesterrente in Höhe von 5 % der jeweiligen Dienstbezüge zu zahlen?
(Beifall von der LINKEN)
Das wäre konsequent. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, wird für die Abgeordneten ein Sonderrecht gefordert, das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Lande nicht zugestanden wird. Das ist verwerflich.
(Özlem Alev Demirel [LINKE]: Pfui!)
Sie schüren mit dieser Abzocke die Politikverdrossenheit in diesem Lande weiter.
(Beifall von der LINKEN)
Unsere Fraktion verteidigt ohne Wenn und Aber unsere solidarischen Sozialversicherungs-systeme, die eh schon permanent durchlöchert werden. Wir waren nicht dafür verantwortlich, dass die Rente mit 67 eingeführt und das Leistungsniveau massiv abgesenkt wurde. Wir haben uns den Plan zur Subventionierung der privaten Versicherungskonzerne – genannt: Riesterrente – nicht ausgedacht. Wir haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gezwungen, in private kapitalgedeckte Systeme einzuzahlen und sich auf Gedeih und Verderb von den Kapitalmärkten abhängig zu machen.
Weil wir für ein Rentensystem für alle sind, sollen auch die Abgeordneten in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen.
(Beifall von der LINKEN)
Dass das geht, zeigt das Land Sachsen. Da haben die Abgeordneten die Möglichkeit, sich für die gesetzliche Rentenversicherung zu entscheiden. Jeder Euro, der zusätzlich in die solidarische Rentenversicherung eingezahlt wird, stärkt die Solidargemeinschaft. Deshalb fordern wir auch die Einbeziehung der Freiberufler, der Selbstständigen, der Beamten und der Abgeordneten in die gesetzliche Rente.
(Beifall von der LINKEN)
Wenn ich mir die Beschlüsse des letzten SPD-Bundesparteitages anschaue, habe ich aber wenig Hoffnung auf Einsicht und Reformwillen. Wie in NRW verweigert sich auch die Bundes-SPD einer ernsthaften Reformpolitik.
Die Niederlage des Arbeitnehmerflügels in der Rentenfrage zeigt, wohin die Reise zu gehen droht: Es droht ein „Schröderismus light“, ein Neoliberalismus mit vermeintlich menschlichem Antlitz. Ottmar Schreiner – für den, der ihn nicht kennt: er ist auch von der SPD – hat auf dem SPD-Parteitag sehr zu Recht gesagt: Es ist nicht zumutbar, dass Menschen nach einem langen Erwerbsleben nur ein Einkommen gerade oberhalb der Sozialhilfe haben. – Und das droht hier Millionen.
(Beifall von der LINKEN – Rüdiger Sagel [LINKE]: So ist es leider!)
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Rede von Herrn Laumann noch eines sagen: Kollege Laumann, Sie lamentieren in Ihrer Rede über Menschen, die von ihrem Gehalt nicht oder kaum existieren können. Sie lamentieren über die steigende Armut, sind aber mit Ihrer Partei verantwortlich dafür – auf der Bundesebene und in der vergangenen Legislaturperiode in diesem Lande –, dass dieser Zustand für viele Menschen und immer mehr Menschen in diesem Lande existiert. Sich dann hierhin zu stellen und das zu sagen, was Sie in Ihrer Rede heute gesagt haben, das nenne ich nur noch pharisäerhaft. Ändern Sie Ihre Politik, dann ändern Sie die Situation der Mehrheit der Menschen in diesem Lande!
(Beifall von der LINKEN)
Wer 45 Jahre lang den neuen rot-grünen Mindestlohn von 8,62 € erhält – ich nehme jetzt Bezug auf die morgige Debatte über das Tariftreue- und Vergabegesetz –, der wird im Alter arm und ein Fall für die Grundsicherung sein. Erst bei einem Mindestlohn von 10 € – wir werden das morgen in der Debatte noch ansprechen – verhindern wir Altersarmut. Aber – das muss man auch deutlich sagen – selbst bei einem Mindestlohn von 10 € und 45 Beitragsjahren wäre der Rentenanspruch geringer als die von uns und vielen Verbänden geforderte solidarische Mindestrente von 900 €. Das heißt, selbst das, was wir fordern, ist nicht ausreichend. Aber 8,62 € – das ist ein Hohn und hilft den Menschen in diesem Lande in keiner Weise.
(Beifall von der LINKEN)
Auch in dieser Frage sind wir mit Ihrem Genossen Ottmar Schreiner völlig einig. Das Leistungsniveau der Rente muss wieder auf das Niveau vor der Schröder-Ära angehoben wer-den. Das hat er nicht wörtlich gesagt – deshalb habe ich nicht um Erlaubnis gebeten zu zitieren –, das war indirekt. Das hat er auf dem Bundesparteitag und in einer Talkshow gesagt. Bei Einbeziehung der Beamten und Selbstständigen und mit einer leichten Erhöhung der paritätischen Beiträge wäre das alles problemlos möglich.
Wir werden daher morgen in der zweiten Lesung des Tariftreue- und Vergabegesetzes die-se 10 € beantragen. Wir können nur appellieren, dass Sie Ihrem Genossen Ottmar Schreiner folgen, dass 8,62 € völlig unzureichend sind. Dann können wir gerne auch im Aus-schuss weiter darüber streiten.
Nicht Teil dieses Haushalts ist die im Juni im Landtag beschlossene Kapitalzufuhr für die WestLB in Höhe von 1 Milliarde €. Wir haben gegen das Restrukturierungskonzept ge-stimmt. Wir Linke lehnen jeden weiteren Blankoscheck für eine Bankenrettung zulasten des Landes NRW und auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ab.
(Beifall von der LINKEN)
Gerade weil die WestLB im Eigentum der öffentlichen Hand ist, wollen wir Klarheit, um mit gesetzlichen Maßnahmen eine Beteiligung der privaten Gläubiger durchzusetzen. Manager und private Gläubiger müssen in Haftung genommen werden, damit es nicht die Kleinanleger trifft, sondern die großen Fische. Darum geht es. Deshalb brauchen wir zur Kenntnis der Öffentlichkeit eine vollständige Liste der Anleiheninhaber.
(Beifall von der LINKEN)
Dann können wir in einem öffentlichen Schuldenaudit und mit gesetzlichen Aktivitäten klären, wer von ihnen in welchem Umfang auf seine Ansprüche verzichten muss.
(Beifall von der LINKEN)
Verlieren Sie da nicht den Anschluss an Europa. In Island, Irland und Dänemark gibt es bereits konkrete Beispiele, wo die privaten Gläubiger mit herangezogen werden. Warum soll das dann hier nicht möglich sein? Das ist doch unmöglich!
(Beifall von der LINKEN)
Selbst in Griechenland werden mittlerweile die privaten Gläubiger, wenn auch sehr unzureichend, mit beteiligt.
Lesen Sie die Wirtschaftspresse. Am 1. Dezember hat die „Financial Times Deutschland“ getitelt: „EU lässt Bankgläubiger bluten“. So sollen die Behörden die Möglichkeit erhalten, die Forderungen von Gläubigern komplett abzuschreiben. Die EU strebt offenkundig eine radikale Wende an. Bisher haben in ganz Europa immer die Staaten und die Steuerzahler die Zeche gezahlt. Wir alle haben sie gezahlt. Die privaten Gläubiger wurden permanent geschont. Damit muss jetzt endlich Schluss sein, in Europa und auch in NRW bei der WestLB. Ein Blankoscheck für die WestLB ist ein Blankoscheck für die privaten Gläubiger. Das darf nicht sein. Mit NRW-Steuergeldern sicherte die SPD mit der CDU und den Grünen damals die Ansprüche der Deutschen Bank und der Citibank. Auch bei den Kommunalfinanzen ist die Politik dieser Regierung enttäuschend. Die angekündigten Hilfen im Stärkungspaktgesetz sind vergiftete Hilfen. Das haben wir immer wieder gesagt. Diese Auffassung teilt im Übrigen die große Mehrheit der betroffenen Kommunen. Das Selbstverwaltungsrecht der 34 betroffenen Kommunen wird erdrosselt. Wir fordern die Landesregierung auf, den Kommunen tatsächlich zu helfen, anstatt sich als IWF auf Landesebene zu versuchen.
(Beifall von der LINKEN)
Unsere Fraktion fordert, dass zwei Drittel aller kommunalen Kassenkredite in NRW von der Landesebene übernommen und in eine Bad Bank als Sondervermögen überführt werden. Das wäre eine Sofortmaßnahme, mit der den Kommunen tatsächlich unter die Arme gegriffen würde. Wer für die WestLB eine Bad Bank einrichten kann und bereit ist, hierfür Milliardenbeträge zur Verfügung zu stellen, der muss auch den Kommunen konsequent helfen.
(Beifall von der LINKEN)
Werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, wie hilflos Ihre Einspar-versuche im Haushalt 2012 sind, kann man schon daran ablesen, dass Sie erneut eine ungewöhnlich hohe globale Minderausgabe veranschlagt haben, und zwar diesmal in Höhe von 750 Millionen €. Sie haben gegenüber 2011 also noch mal ein Häppchen draufgelegt.
Wir lehnen globale Minderausgaben aus prinzipiellen Erwägungen ab.
(Beifall von der LINKEN)
Sie widersprechen den Haushaltsgrundsätzen von Klarheit und Wahrheit. Sie schränken das Budgetrecht des Parlaments ein. Eine derart hohe Minderausgabe ist aber nicht einmal mehr mit einer sogenannten Bodensatzabschöpfung zu rechtfertigen. Ich sage Ihnen ganz deutlich, dass diese globale Minderausgabe bedenklich in die Nähe der verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit gerät. Mit dieser Minderausgabe soll doch nur die Möglichkeit bestehen, am Parlament vorbei im laufenden Haushaltsverfahren Sozial- und Personalabbau zu organisieren. Das ist – noch mal deutlich gesagt – mit uns nicht zu machen.
(Beifall von der LINKEN)
Trotz aller genannten schlechten Vorzeichen werden wir als Fraktion den Haushaltsentwurf 2012 gewissenhaft prüfen. Wie gesagt: Vorgestern wurde er uns vorgelegt. Organisiert diese Landesregierung damit Privatisierung und Sozial- und Personalabbau? Unterlässt sie die Investition eines substanziellen Teils der Steuermehreinnahmen in gesellschaftlich wichtige Belange? Verschafft sie den Bürgerinnen und Bürgern, die darauf angewiesen sind, ein Sozialticket, das diesen Namen verdient? Schafft sie neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze? Erhöht sie die sozialökologisch unverzichtbaren Zukunftsinvestitionen?
Wenn das kommt, sind wir bereit zu sprechen. Wir werden hoffentlich miteinander darüber sprechen. Wir als Fraktion handeln nach unseren Überzeugungen; und weder eine Zustimmung zum Haushalt noch eine Enthaltung gibt es von uns zum Nulltarif.
(Beifall von der LINKEN)
Vielen Menschen in diesem Lande wird immer bewusster, wer konsequent für ihre Interessen eintritt und wer nicht.
Ich sage es hier ganz deutlich: Menschen vor Profite – das bleibt auch in diesem Haushalts-verfahren unser Maßstab. Eine solche Politik braucht das Land und keine andere. – Ich bedanke mich fürs Zuhören.
(Beifall von der LINKEN)