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15. Juni 2011 Harald Weinberg (MdB)

Nürnberger Delegation zur Wahlbeobachtung entgeht knapp einem Handgranatenangriff in der Türkei/Kurdistan

Nachdem die kurdische Partei BDP in Sirnak, kurdische Stadt an der Grenze zum Irak in der Türkei, ihre Kandidaten mit deutlicher Mehrheit ins Parlament gebracht hat, wurde friedlich gefeiert. Dann wurde eine Handgranate in die Menge geworfen. Unsere Wahlbeobachter-Delegation aus Nürnberg war nur wenige Meter von dem Anschlagsort entfernt.

12 Personen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Bei den anschließenden Tumulten setzte die Gendarmerie Tränengasgranaten ein und beschoss auch uns und unsere DolmetscherInnen, obwohl bekannt war, dass wir an dieser Stelle aufhielten.

Die Sicherheitskräfte griffen zudem Menschen an, die sich vor dem Krankenhaus versammelt hatten, um etwas über die Verletzten zu erfahren. Dabei beschoss die Jandarma auch das Krankenhaus und zerstörte alle Scheiben.

Da dies nicht der einzige Anschlag war, sondern ganz ähnliche in mehreren anderen Städten im kurdischen Gebiet, kann von einer gezielten Provokation ausgegangen werden. Das Wahlbündnis der BDP, die zu den großen Gewinnern der Wahl gehört, soll damit wohl eingeschüchtert werden. Die Wahl selber verlief in dem Teil, den die Wahlbeobachter in Augenschein nehmen konnten, dank örtlicher und europäischer Wahlbeobachter so normal wie schon lange nicht mehr. Bis auf kleinere Vorkommnisse waren große Manipulationen nicht zu erkennen. Aber offensichtlich sollte das Wahlergebnis im Nachhinein korrigiert werden durch diesen feigen Anschlag.

Die Wahlbeobachter-Delegation konnte mit eigenen Augen sehen, dass die Provokationen ausschließlich von den Sicherheitskräften ausging. Sie ließen sich auch durch die Anwesenheit ausländischer Delegationen, die sich zu erkennen gaben, nicht von ihren Anschlägen abhalten. Wir protestieren aufs Schärfste, werden uns an die deutsche Botschaft wenden und offiziell Protest einlegen.


Harald Weinberg, Mitglied des Deutschen Bundestag, DIE LINKE

Marion Padua, Stadträtin Linke Liste Nürnberg

Markus Schuler, Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten



Bericht Wahlbeobachtung in Sirnak am Wahltag, den 12.6.2011:

Unsere Aufgabe war es, Wahllokale in der Provinz Sirnak, Kreis Uludere und Beytüssebap zu besuchen und die Wahlen zu beobachten.

In Uludere selbst wurden wir von der Bürgermeisterin begleitet und besuchten zunächst mehrere Wahllokale in einer Schule.

Das Militär war auch hier in sichtbarer Entfernung postiert. Im Vorraum war Polizei, die eigentlich 15 Meter Abstand halten sollte. Darauf angesprochen, meinte einer der Vorgesetzten, er sei für das ganze Haus zuständig. Dann gab es Streit darüber, ob die Bürgermeisterin uns begleiten dürfe oder dies nicht auch eine Beeinflussung darstelle. Der Polizeioffizier kündigte eine Anzeige gegen die Bürgermeisterin an. Wir wiesen darauf hin, dass auch der Gouverneur anwesend sei, der vom Staat eingesetzt wird und einiges an Machtbefugnissen hat, weil er z.B. über die Zuteilung der grünen Karten entscheidet, mit denen eine Grundhilfe und Gesundheitsversorgung gewährt wird. Der Polizeibeamte wollte da keine Parallelität sehen. Es war in dem Fall ein Glück, dass der Richter kam, der von der Hohen Wahlkommission berufen war. Er wirkte tatsächlich mäßigend auf den Konflikt ein und brachte die Polizeikräfte dazu, Abstand zu halten. Später hörten wir, dass er den Polizeioffizier wohl auch dazu gebracht hat, die Anzeige zurück zu ziehen.

In einem weiteren Wahllokal keine Vorkommnisse und ein ruhiger, geordneter Verlauf. Allerdings konnten wir auf dem Weg eine Häufung von Militärbewegungen beobachten. Ganz offensichtlich wurden im größeren Umfang Truppen verlegt. Die Präsenz des Militärs ist ohnehin extrem hoch.

Ein Wahllokal im Kreis Uludere: Hier waren bewaffnete Sicherheitskräfte im Vorraum, was nach der 15 Meter-Regel nicht sein darf. Darauf angesprochen gab es keine Reaktion. Allerdings machten auch die unabhängigen Wahlbeobachter keine große Sache daraus.

In einem Wahllokal in der Stadt Uludere kurz vor Beginn der Auszählung: Sicherheitskräfte sind noch im Korridor und es geht um die Frage, ob sie das Wahllokal nun von innen oder von aussen abschliessen. Drinnen haben sie eigentlich nichts verloren. Das Problem wurde dann dadurch gelöst, dass ein zusätzlicher unabhängiger Wahlbeobachter mit hinein durfte, um sicher zu stellen, dass keine Urne entwendet wird und die Auszählung nicht manipuliert wird.

In einer anderen Schule das gleiche Problem. Es wurde auch berichtet, dass Sicherheitskräfte in einem Wahllokal eine Urne geöffnet hätten. Der Verantwortliche der Sicherheitskräfte versuchte uns das so zu erklären, dass die Wahlleiterin als schwache Frau die Urne nicht aufgebracht hätte und daher sie zur Hilfe gerufen hätte. Nachdem aber auch der Rechtsanwalt des BDP-Wahlbündnisses meinte, da sei nichts weiter geschehen, haben wir den Vorfall nur aufgenommen, aber nicht weiter verfolgt. Nach unserer Intervention sind die Sicherheitskräfte hier raus und haben die Schule von aussen geschlossen.

Vor der Parteizentrale der BDP erfuhren wir von den eingehenden Ergebnissen, die wie erwartet positiv für das Wahlbündnis ausfielen. Das erhöhte wohl noch mal die Aggressivität, denn plötzlich hieß es, eine Wahlurne solle mit einem Panzerwagen statt - wie vorgesehen - mit einem Bus transportiert werden. Eine Rechtsanwältin griff dort ein, was ihr zwar einige Beleidigungen einbrachte, aber immerhin zum Ergebnis hatte, dass die Urne wie vorgesehen transportiert wurde.

Zurück in Sirnak fiel uns sofort die sehr gedrückte Stimmung auf. Wir erfuhren dann, dass Anhänger der BDP angegriffen und mehrere Menschen verletzt worden sind. Der Parteivorsitzende wirkte mäßigend auf die aufgebrachten Menschen ein.

Später wurden die Wahlergebnisse von Sirnak bekannt. Alle drei Kandidat/-innen - von denen allerdings 2 derzeit inhaftiert sind - sind gewählt worden. Jetzt gab es großen Jubel und eine große Begeisterung bei den Menschen. Tausende Menschen waren auf den Beinen und feierten ausgelassen mit Feuerwerk und Autokorsos, bis zu dem schrecklichen Anschlag mit einer Handgranate, die in die frierende Menge geworfen wurde.

In gedrückter Stimmung warten wir jetzt auf die Weiterfahrt nach Diyarkabir.

Harald Weinberg (MdB) / Bediye Eskin