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6. Juli 2011 Anna Conrads

Kennzeichnung als Modeerscheinung? Bericht von der Fachtagung im Landtag

Die erwarteten Kontroversen blieben am 18. Juni 2011 nicht aus. Etwa 80 Interessierte nahmen auf Einladung der LINKEN an der fachpolitischen Konferenz der Fraktion mit dem Titel „Demokratisierung der Polizei“ im Düsseldorfer Landtag teil. In NRW waren im vergangenen Jahr 1434 Ermittlungsverfahren gegen die Beamten eingeleitet worden, 493 davon wegen des Vorwurfes der „Körperverletzung im Amt“. Zu Verurteilungen war es indes nur in insgesamt 17 Fällen gekommen, wie die Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN kürzlich bekanntgab.

Eben diese verhältnismäßig niedrige Zahl an Verurteilungen in NRW nahmen am Sonnabend einige der Referenten zum Anlass, unabhängige Polizeibeauftragte zu fordern, damit gegen die Beamten erhobene Vorwürfe unparteiisch verfolgt werden könnten., wie es in anderen europäischen Ländern seit geraumer Zeit der Fall ist.

Während Elke Steven vom Komittee für Grundrechte und Demokratie von ihren Erfahrungen bei Demonstrationsbeobachtungen und Erkenntnissen über den Einsatz verdeckter Ermittler berichtete, stellte Alexander Bosch, Sprecher der Themenkoordinationsgruppe „Polizei und Menschenrechte“ von Amnesty International, Fälle vor, mit denen sich von rechtswidriger Polizeigewalt an die Menschenrechtsorganisation gewandt hatten. Zudem sprach er sich für die flächendeckende Einführung einer Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten, die Installation von Videoüberwachung auf Polizeistationen, sowie eine verstärkte Menschenrechtsbildung bei der Polizei aus.

Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte , bemängelte in seinem Beitrag, daß in der Bundesrepublik keine offizielle Statistik über das Ausmaß und die Häufigkeit rechtswidriger Polizeigewalt geführt werde, die von Diskriminierungen, informationellen Übergriffen und unverhältnismäßiger Polizeigewalt bei Demonstrationen bis hin zu lebensgefährlichen Polizeigriffen, Folterdrohungen, Misshandlungen, sexueller Gewalt und Todesschüssen reichen kann.

Indes seien unzulässige Polizeigewalt oder Machtmissbrauch nicht allein individuell, aus persönlichen Defiziten, Überforderung oder mangelnder Professionalität der Polizisten zu erklären. Vielmehr würden auch die Arbeitsbedingungen, Mängel in der Aus- und Fortbildung oder die gewalthaft-männliche Subkultur, aus der autoritär-aggressives Verhalten resultierte, ebenso eine Rolle spielen, wie ein fremdenfeindliches Klima und rassistische Einstellungen innerhalb der Polizei.

Gössner warf Polizeiführungen, Hundertschaften oder auch Einzelpolizisten außerdem vor, „allzu häufig nicht energisch gegen volksverhetzende Neonazi-Aufmärsche eingeschritten – stattdessen aber allzu energisch und einseitig gegen Antinazi-Proteste und Gegendemonstranten vorgegangen“ zu  sein.

Derartige Anschuldigungen wies Frank Richter, Vorsitzender der nordrhein-westfälischen Gewerkschaft der Polizei (GdP), von sich. „Wir werden als Polizei nicht ausbaden können, was die Politik versaubeutelt,. Diese Art von Nachhilfe brauche ich nicht“ empörte er sich. Schließlich wolle die GdP keine politische, sondern eine demokratische Polizei sein, so der GdP-Landesvorsitzende weiter. Er bemängelte vielmehr, dass die Gesetze häufig viel Interpretationsspielraum in der Auslegung böten und appellierte an die Politik klare Gesetze zu formulieren.
Richter warf seinen Mitdiskutanten außerdem vor, die „Polizei unter Generalverdacht zu stellen“ und bezeichnete die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für die Beamten als „Modeerscheinung“. Tatsächlich hatte sich sogar die Brandenburger CDU kürzlich für die Kennzeichnung von Polizeibeamten ausgesprochen. Richter betonte noch einmal, dass aus der Sicht der GdP eine namentliche Kennzeichnung nicht in Frage komme, weil die Gefahr von Übergriffen gegen einzelne Kollegen zu hoch sei.

Jedoch bezog der GdP-Chef auch bezüglich polizeilicher Übergriffe eindeutig Stellung. „Leute, die übers Ziel hinausschießen, gehören nicht in die Polizei“, konstatierte er. Außerdem appellierte er an die Politik, endlich die Arbeitsbedingungen, gerade auch für die Einsatzpolizei zu verbessern, die oftmals bis zu 72 Stunden im Einsatz sei und dann auch noch verschimmelte und abgelaufene Verpflegung von den inzwischen durch private Caterer organisierte Einsatzverpflegung erhielten.

Während Niklas Schrader, Innenreferent der LINKEN im Berliner Abgeordnetenhaus, über Widerstände und Befürchtungen bezüglich der Einführung der Kennzeichnungspflicht in der Bundeshauptstadt referierte, berichtete der Düsseldorfer Rechtsanwalt Tim Engels von seinen Erfahrungen in Gerichtsprozessen.

Die Beamten besäßen vor Gericht oftmals ein Wahrheitsmonopol, während dem Durchschnittsbürger mit Misstrauen begegnet werde, so der Anwalt. So habe eine Richterin in einem von Engels betreuten Verfahren die Aussagen der Beamten trotz anderslautender Aussagen und Indizien pauschal für glaubhaft befunden, da Polizisten, die vor Gericht Falschaussagen tätigen würden, damit ihren Beruf riskieren würden.

Die Ergebnisse der Tagung sollen nunmehr in parlamentarische Initiativen münden. So wird die Fraktion nun unter anderem Anträge zur Einführung der Kennzeichnungspflicht für Polizisten im bevölkerungsreichsten Bundesland erarbeiten. Zumindest die Grünen müssten da mitziehen - sie haben diese Forderung immerhin im Programm. Und wer weiss - vielleicht orientiert sich die NRW-CDU ja auch an ihren KollegInnen in Brandenburg.